Der große Traktoranhänger auf dem Matthiasplatz füllt sich allmählich mit Koffern und Reisetaschen. Eine große Menschenmenge mit Rucksäcken und Wanderschuhen strömt zur Matthiaskapelle. Fahnen, Kreuze und ein Megaphon stehen bereit.
Es ist wie eine Sucht, so beschreibt Elfi aus Weilerswist ihre Beweggründe, sich so früh am Morgen gemeinsam mit Ehemann Karl-Heinz auf die Beine zu machen. Bereits um 4.30 Uhr hat die Gruppe eine Heilige Messe in der Kirche St. Andreas & Matthias gefeiert. Nach dem gemeinsamen Segensgebet in der Matthiaskapelle setzen sich die 51 Pilgerinnen und Pilger pünktlich um 6.00 Uhr in Bewegung. Ihr Ziel: Das Grab des Apostels Matthias im 160 km entfernten Trier.
Aus über 40 Orten kommen die Mitglieder der Matthias-Bruderschaft Lich-Steinstraß, die jedes Jahr über Christi Himmelfahrt nach Trier pilgert. Viele von ihnen sind bereits als Jugendliche dabei gewesen, hatten Verwandte in der Bruderschaft. Andere wurden von Bekannten darauf angesprochen, von dem Fieber gepackt und nie mehr losgelassen.So auch Kurt aus Erkelenz:
Beim ersten Mal war ich einfach neugierig und wollte ausprobieren, ob ich das kann.
Doch dann lernte er diese Gemeinschaft von Gleichgesinnten kennen, die er seither nicht mehr missen möchte. Ähnlich geht es Michael:
In dieser Gemeinschaft sind keine Generationenunterschiede spürbar, schwärmt der 23-Jährige.
Aber es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb auch er keine Wallfahrt mehr verpassen möchte:
Unterwegs bekommt man einen freien Kopf, kann seine Gedanken sortieren und viele persönliche Fragen für sich klären.
Die erste Tagesetappe führt die Gruppe nach Hergarten, einem kleinen Ort in der Nord-eifel. Dort werden am Donnerstag 13 weitere Pilger hinzustoßen. Die Ankunft in Trier ist für Samstagnachmittag geplant. In der dortigen Matthiasbasilika wird am Sonntag das Pilgerhochamt gefeiert werden, bevor sich am Montagmorgen eine kleinere Gruppe von ca. 20 Pilgern zu Fuß auf den Rückweg nach Lich-Steinstraß macht. Dort wird sie am Donnerstagabend – nach insgesamt neun Tagen Wallfahrt – schon erwartet.
Kaum haben Matthias und Matthias das Champions-League-Spiel von Bayern München gegen Atletico Madrid fertig analysiert, da ertönt die Stimme des Brudermeisters durch das Megaphon:
Wir wollen beten für unsere Angehörigen, die wir zuhause zurückgelassen haben. Heiliger Apostel Matthias, bitte für uns. Wer hat eigentlich Brudermeister-Dienst?,
fragt ein dritter Matthias.
„Matthias“,
lautet die Antwort – und allmählich beschleicht mich der Verdacht, dass man in Lich-Steinstraß eine Vorliebe für einen bestimmten Vornamen hegt.
Übernachtet wird während der Wallfahrt sowohl in Pensionen als auch in Gastfamilien. Verpflegung und Logistik erfordern ein hohes Maß an Organisation, die von Wallfahrtsleiter Matthias und Team im Vorfeld übernommen wird. Auch personell ist die Pilgergruppe gut ausgestattet: Altpropst Heinz Bongard steht der täglichen Eucharistiefeier vor. Ein Apotheker und eine Krankenschwester versorgen am Abend die Blasen an den Füßen.
Karl-Heinz ist heute zum 43. Mal dabei. Er und Elfi haben sich bei der Matthias-Wallfahrt kennengelernt und sich vor 24 Jahren – ebenfalls während der Wallfahrt – am Matthiasgrab das Ja-Wort gegeben. Auch nach so vielen Jahren bekommt Karl-Heinz noch weiche Knie, wenn die Pilgergruppe samstags Trier erreicht. Der Einzug in die Basilika unter dem Geläut der Glocken – nach all den Strapazen – da stehen bei so manchem die Tränen in den Augen.
Wäre es nicht angenehmer, so frage ich mich, mit derselben Gemeinschaft eine einfache Wanderung nach Trier zu unternehmen, ohne die vielen religiösen Elemente? Meine Gesprächspartner winken ab.
Dann würde man das nicht immer wieder machen
, ist Heinz überzeugt.
Jeder geht mit irgendeiner Frage nach Trier,
sagt er mit einem breiten Grinsen. Diese Erfahrung hat auch Markus gemacht:
Viele machen sich mit bestimmten Anliegen, mit persönlichen Sorgen und Nöten auf den Weg. Das wird im Laufe der Tage bei Gesprächen immer wieder deutlich und bei persönlichen Fürbitten. Da bricht oft viel auf. Warum er pilgert? Der Mann da vorne, der das Kreuz trägt, das ist mein Onkel… Und wie heißt der? Ach ja, richtig…
Pastoralassistentin Mareike Jauß