Als Nichthistorikerin und älteres „Nachkriegskind“ maße ich mir nicht an, einen wissenschaftlich korrekten Bericht über den wohl schrecklichsten Tag in der Geschichte Jülichs zu verfassen. Dazu gibt es versierte Fachleute in der Stadt, die sich sicher in kompetenter Weise zum 75. Jahrestag der Zerstörung Jülichs zu Wort melden. Ich möchte hier ein paar persönliche Gedanken zu Papier bringen, die ich mir in Vorbereitung auf ein vom Propsteichor angeregtes und seit Anfang des Jahres verfolgtes Chorprojekt gemacht habe. Zusammen mit Projektsänger*innen aus Jülich und Umgebung sowie demnächst auch aus Düren studiert der Chor das Deutsche Requiem von Johannes Brahms ein, das dann am 16. November 2019, dem 75. Jahrestag der Zerstörung Jülichs, in der Propsteikirche aufgeführt werden soll.
Im November 1944 hatten die meisten Einwohner von Jülich und Umgebung ihr Zuhause schon verlassen. Dennoch hielten sich Zivilisten in der Stadt auf, mit ihnen Soldaten und Zwangsarbeiter. Am 16. November, einem Donnerstag, starteten die Alliierten ihre „Operation Queen“. Etwa 600 Bomber machten sich auf den Weg nach Jülich, wo sie ab 15.38 Uhr ihre zerstörende Fracht abluden. Nach Augenzeugen soll der Himmel schwarz von Flugzeugen gewesen sein. Fliegeralarm gab es nicht mehr, da die Alarmanlagen schon lange zerstört waren.
127.620 Spreng- und Brandbomben fielen alleine auf Jülich. Gegen 15.50 Uhr war aus der einst blühenden Stadt Jülich eine Trümmerwüste, die meist zerstörte Stadt Europas, geworden. Die genaue Zahl der Toten dieses Tages konnte nie abschließend ermittelt werden. Viele historisch bedeutende Gebäude wurden unwiederbringlich zerstört, auch die Propsteikirche, deren Turmruine lange Zeit die einzige Orientierung in den verschwundenen Straßenzügen war. Die beiden verbliebenen Glocken von 1448 und 1508 fand man geschmolzen in den Trümmern. Die Orgelempore mit der Orgel von 1888 – übrigens dem Gründungsjahr des Propsteichores – und das komplette Notenmaterial wurden vernichtet. Die Propsteikirche konnte wiederaufgebaut werden, anders als die Kapuzinerkirche und die Jesuitenkirche am Markt.
Ich habe viel gelesen über den 16. November 1944, und die Bilder der vernichteten Stadt mit der zerstörten Propsteikirche haben mich zutiefst beeindruckt. Die Berichte der Augenzeugen des Bombenangriffs sind bewegend. Sie stammen von Menschen, die damals noch Jugendliche waren, ihrer Kindheit beraubt, um deren traumatisierte Seelen sich niemand gekümmert hat. Wenn ich dann am 16. November 2019 – so Gott will – mit den anderen Sängerinnen und Sängern auf den Altarstufen stehen werde, um das Gedenkkonzert zu singen, dann habe ich diese Bilder und Berichte im Kopf.
Ich sehe die Trümmer im Kirchenschiff, da, wo die Zuhörer und Zuhörerinnen sitzen, und ich denke an die vielen Toten – nicht nur in unserer Stadt, in unserer Region, in unserem Land.
Requiem – Totengedenken
Monika Dahmen, Propsteichor