Ideen anstelle des ökumenischen Kreuzweges finden
Für viele ist der ökumenische Kreuzweg auf die Sophienhöhe am Karfreitag-Morgen bereits zu einer guten Tradition geworden. Leider kann der Kreuzweg in diesem Jahr aufgrund der Corona-Krise in dieser Form nicht stattfinden. Aber muss er deswegen ganz ausfallen?
In den vergangenen Jahren wurde auf dem Weg zum Gipfelkreuz der Leidensweg Jesu Christi betend und betrachtend in den Blick genommen. Letztes Jahr bot sich der Misereor-Hungertuch für die Jahre 2019 und 2020, gestaltet vom Flensburger Künstler Uwe Appold mit dem Titel “ Mensch, wo bist du?“ als Ausgangspunkt an.
Für 2020 hatte sich das Vorbereitungsteam überlegt, wie man hieran anknüpfen kann. Lautet die Antwort „Hier bin ich“, so tritt man aus der Masse hervor, bereit für eine Begegnung. In der Bibel finden sich viele Geschichten, wo Jesus Christus einzelnen Menschen begegnet. Zu lesen, wie er mit ihnen umgeht, zeigt uns seinen Charakter, seine Zuwendung zu den Menschen – achtsam, lehrend, heilend, ermahnend und voller Liebe und Erbarmen. Zu sehen, wie Jesus ist und handelt, heißt auch, Gott zu schauen.
Wo sonst auf dem Kreuzweg an den Stationen von den einzelnen Gruppen Impulse kommen, ist nun – wer mag – als einzelne Kreuzweg-Geherin, als einzelner Kreuzweg-Geher gefragt, selbst aktiv zu werden. In der Passionsgeschichte lesen wir von Menschen, die Jesus von nahe oder von weitem begegnen. Wie mag die jeweilige Person Jesus und das Geschehen drum herum wahrgenommen haben? Wie hat Pilatus Jesus beim Verhör erlebt? Was mag sich Simon von Kyrene, der den Kreuz für Jesus getragen hat, gedacht haben? Was empfand Maria für ihren Sohn Jesus am Kreuz, der selbst dort noch für ihre Zukunft etwas regelte? Es weitet den eigenen Blick, wenn man sich in die Schuhen eines anderen begibt. Das Vorbereitungsteam lädt herzlich dazu ein, auf diese Weise den Kreuzweg mal anders zu erleben, sich in das Passionsgeschehen zu vertiefen und letztendlich Jesus Christus zu begegnen.
Im Folgenden finden sich die Bibelstellen zum Nachlesen sowie die Passionsgeschichte aus der Sicht des römischen Hauptmanns am Kreuz. Weitere Geschichten rund um die Passionszeit und Ostern können auf der ökumenischen Homepage www.kirche-juelich.de nachgelesen werden.
Für den Ökumenischen Ausschuss “ Kirche in Jülich“ Dr. Show-Ling Lee-Müller
Aus der Sicht des römischen Hauptmanns
In der Bibel steht von mir kein Name, aber nennt mich einfach Zenturio Julius. Als römischer Hauptmann habe in meinem Leben schon manche Schlachten erlebt, den Tod habe ich mehrfach ins Auge gesehen und viele meiner Leute sterben. Doch für Schlachten bin ich zu alt. Man hat mich nach Judäa versetzt, wo ich für Ordnung in diesen unruhigen Zeiten sorgen soll. Gerade vor dem Passahfest, einem hohen Fest der Juden, geht es zu auf dem Jahrmarkt. So viele Leute in Jerusalem, die von überall herkommen. Und für heute hat zu allem Überfluss der Statthalter Pontius Pilatus kurzfristig auch noch die Kreuzigung dreier Burschen festgelegt. Schnell soll es gehen. Zwei davon sind Räuber, die schon länger einsitzen. Der dritte aber wurde gerade heute morgen verurteilt. Weswegen – keine Ahnung. Ich verstehe nicht viel von der Religion der Juden. Aber wie sie getobt haben und gerufen haben: „Kreuzige ihn!“ Das hallt mir jetzt noch in den Ohren. Auf seinem Kreuz wurde ein Schild befestigt, darauf steht: „Jesus von Nazareth, der König der Juden.“ Und ja, wie soll ich es sagen, dieser Verurteilter war so ganz anders. Schaulustige, die vorübergingen, haben ihn verspottet und geschmäht. Aber dieser Jesus von Nazareth, der ist nicht zornig geworden oder hat zurückgespuckt. Nein, er hat ihnen ihre Taten verziehen! Leise murmelte er: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Auch habe ich gehört, wie er mit den Räuber, die rechts und links von ihm gekreuzigt wurden, gesprochen hat. Einer ist sogar reuig geworden.
Und dann, zur Mittagszeit wurde der Himmel ganz finster. So was habe ich noch nie erlebt. Diese Finsternis dauerte drei Stunden. All die Zeit hielt ich Wache. So eine Kreuzigung kann ja lange dauern, der Tod kommt langsam und qualvoll. Doch dann , schrie er laut auf. Dass er dazu noch Kraft hatte. Einer meiner Soldaten füllte einen Schwamm mit Essig und steckte ihn auf einen Stab. Ein übler Scherz, um sein qualvolles Sterben zu verlängern. Aber dieser Gekreuzigte schrie noch einmal laut auf und starb. So schnell, so plötzlich. So erhabend, so königlich. Und die seit Mittag andauernde Finsternis wich.
Ich stand die ganze Zeit dabei, ihm gegenüber. Habe gesehen, wie er gestorben ist. Und ich glaube, es ist wahr, was auf dem Schild steht. Auch wenn es als Spott gemeint war, es stimmt tatsächlich. Wahrhaftig, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen.