Als junger Mensch hat man noch Träume…
Als Theologie-Student und Priesteramtskandidat des Bistums Aachen habe ich in den 1990ern von einer Kirche geträumt, in der sich jede*r mit ihren/seinen Begabungen einbringen und entfalten kann, beteiligt wird und mit Verantwortung übernimmt. Entsprechend habe ich in meiner Diplomarbeit (im Fach Kirchenrecht) 1997 ein Gemeindeleitungs-Modell thematisiert, das die maximale Beteiligung von Katholiken an der Leitung einer Pfarre vorsieht anlässlich Priestermangels (can. 517 § 2 CIC).
Auch andere hatten zu dieser Zeit Träume. Im November 1998 hat der damalige Bistumstag das Papier „Gemeindeleitung in Gemeinschaft“ beschlossen, etwas versteckt zu finden: https://www.bistum-aachen.de/export/sites/Bistum-Aachen/portal-bistum-aachen/Gemeindearbeit/.galleries/downloads/Gemeindeleitung-in-Gemeinschaft.pdf
Dort heißt es:
„3. (2-3) Gängiges Modell der Gemeindeleitung war und ist vielfach noch ein monarchisches, in dem das priesterliche Amt letztlich alle Entscheidungen in Fragen des Gemeindelebens trifft und verantwortet. Dieses Modell wird aber den heutigen Verhältnissen nicht mehr gerecht, weil
- die erforderlichen Kompetenzen und Tätigkeiten nicht mehr von einer Person allein erbracht werden können;
- die Menschen in den Gemeinden ihrer Kompetenz gemäß mehr in Entscheidungsprozesse einbezogen werden wollen…
Diese Klärung führt konsequent zu einem Verständnis…, dass Gemeindeleitung nicht mehr nur von einem Einzelnen gewährleistet, verantwortet und ausgeübt werden sollte.“
In der Zwischenzeit ist in dieser Hinsicht wenig, in anderer aber viel geschehen:
Das am 12. November 2020 veröffentlichte unabhängige Gutachten bescheinigt der Weltkirche und der Teilkirche von Aachen ein beispielloses Versagen im Umgang mit dem Missbrauch von Minderjährigen durch geweihte Amtsträger. Näheres lässt sich im Gutachten finden unter: https://westpfahl-spilker.de/wp-content/uploads/2020/11/Gutachten_Bistum_Aachen.pdf
Das Versagen hat allgemeinere und systemische Ursachen: vor allem die Machtverteilung, weitverbreitete fachliche Inkompetenz und Nicht-Beteiligung von Fachleuten, die übersteigerte, fast Kritik-unempfindliche Rolle von Amtsträgern und eine gewisse Weltfremdheit, nicht zuletzt in der Sexualmoral…
Die Liste der systemischen Ursachen er-innert an die Gründe, die schon damals in den Bistumspapieren und an vielen anderen Stellen mehr und echte Beteiligung dringend empfohlen haben.
Ich träume von einer Kirche…
- deren Reichtum nicht von dieser Welt ist;
- die nicht auf einem hohen Ross sitzt, in einen mächtigen Mantel gehüllt;
- sondern die „heruntergekommen“ ist;
- die jeden zu Tisch bittet und niemanden ausschließt;
- die wie Jesus am Karfreitag mit allen Menschen leidet;
- die untergeht, um aufzuerstehen und jeden Menschen mit der Macht der Auferstehung in Liebevolle Berührung zu bringen.
Tja, als nicht mehr ganz so junger Mensch hat man auch noch Träume, gerade angesichts des Leidens und des Auf-Lebens in der Karwoche. Aber: Wer will einen eigentlich daran hindern, diesen Traum zu leben?
Herzlichen Gruß und herzliche Einladung zum Mit-Auf-Leben!
Josef Wolff, Leiter der Pfarrei und GdG