Vor diesem Durchgang stand die Pilgergruppe der Pfarrei Heilig Geist Jülich über eine Stunde am frühen Samstagmorgen, dem 12. Oktober. Sie wartete darauf, dass der orthodoxe Gottesdienst in der Krypta der Geburtskirche zu Betlehem endete und alle endlich zu der Stelle konnten, wo Jesus geboren wurde. Ja, eine 47-köpfige Gruppe aus unserer Pfarrei (u.a.) war auf den Spuren Jesu im Heiligen Land unterwegs. Es fühlte sich etwas an wie Weihnachten – trotz der erwarteten sommerlichen 30° Celsius. Man kommt ins Nachdenken, wo und wie Weihnachten denn damals so gewesen ist…
Wenig später war die Gruppe auf den „Hirtenfeldern“, wo die Engel die Frohe Botschaft den Hirten verkündeten. Unter einem Torbogen mit der Aufschrift „Gloria in excelsis deo“ (Ehre sei Gott in der Höhe) kommt man zu den Plätzen, wo Hirten damals kampiert haben. Was bei uns gerne romantisch verklärt wird („holder Knabe im lockigen Haar“), hatte für die Menschen vor über 2000 Jahren eine revolutionäre Bedeutung.
Denn die Hirten waren alles andere als bewunderte Outdoor-Aktive oder eine angesehene Berufsgruppe, sondern mehr so eine Art Obdachlose, die nichts Besseres gelernt hatten. Von ihren jüdischen Zeitgenossen wurden sie grundsätzlich als „unrein“ betrachtet und waren damit von bestimmten gesellschaftlichen Lebensvollzügen ausgeschlossen, besonders vom Gottesdienst, weil sie ständig mit Blut und anderem Unreinen zu tun hatten und kein vorgeschriebenes „Reinigungsbad“ nehmen konnten.
Diesen Gesetzeslosen am Rande der religiösen jüdischen Legalität erscheint das himmlische Heer und verkündet die Geburt von Gottes Sohn.
Eine größere und peinlichere Panne kann Gottes Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit doch wohl kaum passieren: ein Skandal erster Ordnung aus Sicht der frommen und auf Reinheit bedachten Juden, die sich das Ankommen des Messias nun wirklich ganz anders vorstellen.
So betrachtet, wirkt die Weihnachtsgeschichte bei Lukas als ein Vorspiel zum öffentlichen Auftreten Jesu, der in seinem Wirken gerne die sozialen Zustände seiner Zeit kritisiert, die äußerlichen Reinheitsvorstellungen in Frage stellt, sich den sogenannten „Sündern“ zuwendet und überhaupt an die gesellschaftlichen Ränder geht zu den Diskriminierten, Kranken und überhaupt Benachteiligten. Jesus war damit denen unbequem, die sich nett und bequem in ihrer Welt eingerichtet hatten.
Die Reise nach Israel und Palästina hat so manche Vorstellung von biblischen Begebenheiten auf den Kopf gestellt – oder vielleicht besser: auf die Füße. Denn dazu hatte die Gruppe ja die Reise ins Land des Evangeliums angetreten – um Jesu Fußspuren zu finden und als seine Jünger und Jüngerinnen, als Christinnen und Christen seinen Weg weitergehen zu können.
Möge die Advents- und Weihnachtszeit Sie und Euch näher an die erfüllende Erfahrung Gottes in unserer Welt heranführen!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Euch eine bereichernde und gesegnete
Advents- und Weihnachtszeit!
Ihr und Euer Pastor Josef Wolff