Das Osterfest – ein Fest „mit Vorlauf“ – finde ich gar nicht so leicht zu verstehen.
Der Ostersonntag ist ja erst der letzte Tag der „Heiligen Woche“, welchem die Kartage von Palmsonntag an vorausgehen. An Weihnachten hat man es da leichter: Das Fest dreht sich einfach um Jesu Geburt und damit beginnen die meisten Evangelien eben auch.
In der „Heiligen Woche“ dagegen geht es gleich um mehrere Themen, nämlich um den Höhepunkt und das Ende von Jesu Wirken, um Leiden, Tod und Auferstehung Jesu – keine leichte Kost. Genauer hin geht es ja um das Leiden, Sterben und Auferstehen von Jesus von Nazareth, von dem wir glauben, dass er der Christus und damit Gott selbst ist.
Zu glauben, dass Gott in Jesus Mensch wird und als Kind im Stall auf die Welt kommt, ist schon abgefahren – abgefahrener ist aber, an dieser steilen These auch dann noch festzuhalten, wenn man diesen Jesus am Kreuz hängen sieht – unabhängig davon, ob er dann anschließend am Ostersonntag aufersteht oder nicht.
Vielleicht fällt uns, die wir ständig von Kreuzen umgeben sind, das heute nicht mehr auf, aber von außen betrachtet bleibt ein Kreuz erst einmal ein antiker Foltergegenstand und ist – Auferstehung hin oder her – noch kein christliches Heilszeichen.
Der Apostel Paulus bringt es auf den Punkt, wenn er im ersten Brief an die Korinther davon spricht, dass für Außenstehende, seien es Juden oder Griechen, das Kreuz ein Ärgernis und mindestens eine Torheit darstellt. Dennoch rückt Paulus das Kreuz ins Zentrum seiner Theologie. Er findet für die damalige Zeit eine plausible Antwort auf das scheinbare Scheitern Gottes am Kreuz. Als kundiger Jude greift er dabei auf das Alte Testament und die dort gegenwärtigen Sühne-Vorstellungen zurück: Ein Opfer büßt für die vielen anderen, die dadurch Erlösung finden. Oder wie wir in der Liturgie beten: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt“. Für Paulus steht fest: „Nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut […] hat er eine ewige Erlösung bewirkt“ (EÜ, Hebr 9,12).Kann diese Antwort uns auch heute noch zufrieden stellen? Auch wenn unsere Liturgie voll von diesen Formeln ist, habe ich jedenfalls Probleme damit, z.B. heutigen Firmlingen klarzumachen, dass Jesus für ihre Sünden gestorben ist – diese schauen mich dann wahrscheinlich erst einmal verständnislos an. Die theologischen Antworten von gestern, sie sind also anspruchsvoll und keinesfalls selbsterklärend.
Es wäre an der Zeit, neue und unserer Zeit angemessene Antworten auf den Kreuzestod Christi zu geben, die sich dann bestenfalls in der Liturgie wiederfinden. In der Theologie streitet man sich seit Jahren darüber, wie man in Treue zur Tradition den
Kreuzestod Jesu Christi in der Gegenwart deuten könnte – in den liturgischen Formeln unserer Gottesdienste oder in unserem
Gemeindeleben ist von diesen Auseinandersetzungen wenig zu sehen.
Vielleicht wäre es schon ein Anfang, bei der Deutung von Jesu Tod sein bis dahin gelebtes Leben nicht auszuklammern. Seinem Tod geht eine nicht unbedeutende Vorgeschichte voraus, in der er auftrat, umherzog und in aufsehenerregender Art und Weise das Reich Gottes verkündete. Dieser Jesus eckte an, er trat ein für die Kranken und hielt den scheinbar Gesunden nicht selten den Spiegel vor. Die Evangelien zeichnen das Bild eines Menschen, der konsequent für seine befreiende Botschaft eintrat und dabei an die Grenzen ging.
Diese Spur scheint mir theologisch belastbar, weil das Leiden und der Tod Christi darin vor allem die Konsequenz eines Lebens darstellen, das ganz in den Dienst des Gottesreichs und des Heils der Anderen gestellt wurde – bis zum Äußersten, bis zum Tod am Kreuz.
So gesehen kann ich mit dem Kreuz als Heilszeichen auch heute noch etwas anfangen. An Karfreitag zeigt sich damit die aufopferungsvolle und unbedingte Liebe eines Gottes, dessen Zusage an uns auch in den schwersten Stunden gilt, weil er eben auch angesichts des Kreuzestods nichts von seiner befreienden Botschaft zurücknimmt. Das Leben siegt damit über den Tod – dadurch ergibt sich auch eine Perspektive auf ein Leben nach dem Tod. Diese Aussicht sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Reich Gottes, für das Jesus sein Leben ließ, bereits auf Erden mit ihm begann: Wir sollen bereits hier neu zum Leben finden und anderen zum befreienden neuen Leben verhelfen – es ist an uns Gläubigen, daran weiterzuarbeiten.
Pastoralassistent Raphael Schlecht